Olympia ICR 412

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Datei:OlympiaICR412.jpg
Olympia ICR 412

Der Olympia ICR 412 ist ein 1969 oder Anfang 1970 erschienener anzeigender Tischrechner mit einem 12stelligen Display aus Nixie-Röhren. Intern arbeitet das Gerät sogar mit 24 Stellen, was eine entsprechend hohe Genauigkeit bewirkt. Die Anzeige kann mit einer speziellen Taste jederzeit zwischen den oberen und den unteren 12 Stellen umgeschaltet werden, was im Prinzip den vorangegangenen Rechnern der Serie RAS 4/30 entspricht. Gebaut wurde der Rechner – wie viele oder sogar alle frühen anzeigenden Rechner von Olympia – von Matsushita (Panasonic).

Der ICR 412 ist aus heutiger Sicht für ein Gerät ohne Drucker erstaunlich groß und schwer und übertrifft in seinen Dimensionen sogar die frühen Laptops von Mitte der 80er Jahre. Wie viele dieser Ur-Laptops hat übrigens auch der ICR 412 einen praktischen Tragegriff auf der Vorderseite! Mit ca. 5 kg wiegt der Rechner etwa so viel wie die zwei oder drei Jahre später erschienenen Rechner der auch nicht gerade filigran gebauten Rechner CP 140 bis CP 181, die immerhin einen 220V-Elektromotor und ein robustes Druckwerk enthalten.

Das hohe Gewicht ist unter anderem eine Folge des massiven Rahmens aus Aluminiumguß, an dem alle wesentlichen Komponenten außer dem Netzschalter und der Tastatur befestigt sind. Angesichts der Tatsache, daß das Gerät vier Platinen (ohne Netzteilelektronik) und einen Verzögerungsspeicher enthält, ist der Rechner dennoch vergleichsweise kompakt, was vor allem durch den schrägen Einbau der Platinen erreicht wird. Das keilförmige Gehäuse wirkt geradezu futuristisch angesichts der Gehäuse der Vorgängerrechner RAE 4/15 und RAE 4/30.

Meine Vermutung ist, daß der ICR 412 vor dem im gleichen Gehäuse sitzenden 12stelligen CD 400 erschienen ist, obwohl im Büromaschinenlexikon beide gemeinsam auftauchen, und zwar in der Ausgabe 1970/71. Dafür gibt es drei Hinweise: Erstens fällt die Form der Tastenkappen auf, die noch nicht die später übliche, für Olympia-Rechner bis heute typische Form mit kreisrunder Oberseite haben, sondern eine sehr ungewöhnliche, exakt quaderförmige Form mit flacher Oberseite. Zweitens ist mein ICR 412 älter als meine drei CD 400 (einige Bausteine stammen noch aus dem Jahr 1969), was aber natürlich auch ein Zufall sein kann. Drittens fällt die Typenbezeichnung des ICR 412 etwas aus der Reihe, denn alle späteren anzeigenden Rechner heißen CD oder LCD.

Möglicherweise ist das 412 eine Weiterentwicklung der alten, schon bei mechanischen Rechnern verwendeten Bezeichnungen, bei denen 4/12 für einen Rechner für alle vier Grundrechenarten mit 12 Stellen stehen würde. Strenggenommen müßte der Rechner dann allerdings ICR 424 heißen, analog zum RAE 4/30, der seine 30 Stellen ja auch nicht auf einmal ausgeben kann. Was das "ICR" bedeutet, kann man nur vermuten; es könnte aber ein Hinweis auf die verbauten ICs sein (anstelle von diskreten Transistoren), also "IC-Rechenmaschine" bedeuten.

Innerer Aufbau

Datei:ICR412 Platinen43.jpg
Platinen #4 und #3
Datei:ICR412 Platinen21.jpg
Platinen #2 und #1
Datei:ICR412 Tastaturunterseite.jpg
Die Unterseite der Tastatur. Es gibt keine kabelsparende Tastenmatrix; entsprechend groß ist die Zahl der Anschlußleitungen.

ICs gibt es im ICR 412 tatsächlich mehr als genug! Die Elektronik ist auf vier hinter dem Display schräg stehenden Platinen untergebracht – fast ausschließlich in 14poligen ICs der Firma Philco, die ich außer im ICR 412 und im CD 400 noch in keinem Rechner irgendeines Herstellers gefunden habe. Auf eine Zählung und tabellarische Auflistung der einzelnen ICs habe ich bisher verzichtet, lt. Serge Devidts (siehe externe Links) sind es etwas mehr als 150, wobei mein Exemplar anders als das von Serge Devits ausschließlich PHILCO-ICs hat.

Die vier Hauptplatinen, die von hinten nach vorne mit #1 bis #4 durchnummeriert sind, werden oben von einem Metallrahmen gehalten, nach dessen Entfernung die Platinen einzeln herausgezogen werden können. Leider sind die Gummiklötze, die zwischen diesem Rahmen und den Platinen sitzen, nach fast 40 Jahren ziemlich spröde und zerbrechlich.

An der vordersten der vier Hauptplatinen sind in einer Kunststoffhalterung die 12 Nixie-Röhren sowie einige zusätzliche Anzeigen für Vorzeichen und die Displayumschaltung befestigt. Die vier Platinen sind über eine waagerechte fünfte Platine miteinander verbunden. An dieser Verbindungsplatine sind auch die Kabel zu Tastatur und Speichermodul angelötet. Die Spannungsversorgung belegt zwei weitere kleine Platinen.

Eine Besonderheit des Rechners ist der Speicher. Wegen der damals hohen Kosten für aus Halbleiterelementen aufgebaute Speicher bzw. Register hat der ICR 412 einen Verzögerungsspeicher bzw. Laufzeitspeicher (engl. „Delay Line Memory“), bei dem der Speicherinhalt im Prinzip als eine im Kreis laufende Folge mechanischer Schwingungen repräsentiert wird. Ein solcher Speicher besteht im wesentlichen aus einem langen, in Schleifen befestigten Draht und befindet sich beim ICR 412 in einer schützenden Metallhülle, die ich mich nicht zu öffnen getraut habe, aber unter externe Links findet man eine Beschreibung und Abbildungen eines solchen Speichers.

Bedienung

Anzeige einer 24stelligen Zahl. Oben die höherwertigen Stellen, unten die niederwertigen. Man beachte die drei Pfeile, die auf den aktuellen Zustand der Anzeige hinweisen!

Nun zur Eingabelogik: Auf den ersten Blick sieht die Tastatur erstaunlich modern aus; es gibt vier Tasten für die Grundrechenarten und eine [=]-Taste. Tatsächlich erfolgt die Eingabe nicht wie damals üblich im Addiermaschinenmodus, sondern wie bei einem modernen Taschenrechner. 5 - 3 rechnet man also mit der Tastenfolge [5][-][3][=] und nicht [5][+][3][-].

Links vom Ziffernblock findet man neben der [C]- und der [CA]-Taste (die [C]-Taste entspricht dabei einer heutigen [CE]-Taste), zwei einrastende Tasten, [D] und [S], sowie eine [M]-Taste. Letztere schreibt eine Zahl in den Speicher, der mit der auf der anderen Seite der Tastatur angeordneten – und andersfarbigen! – [M]-Taste (mit Raute) abgerufen werden kann. Auch die [S]-Taste hängt mit dem Speicher zusammen: Ist sie gedrückt, leuchtet das linke der drei Kontrollämpchen über der Tastatur auf, und alle Ergebnisse werden mit der [=]-Taste in den Speicher aufaddiert. Es ist also eine Speicherautomatik (Akkumulator). Leider ist bei meinem Exemplar die [=]-Taste defekt (wahrscheinlich das zuständige IC, der Reed-Kontakt ist in Ordnung), so daß ich diese Speicherautomatik nicht testen konnte. Rechnen kann man auch ohne die [=]-Taste, da eine Operation auch mit [+] statt mit [=] abgeschlossen werden kann.

Die [D]-Taste schließlich ist eine Spezialität des ICR 412 und zugleich ein kleines Rätsel. Sie dient nämlich zum Einstellen der Nachkommastellen: [D]-Taste einrasten, Ziffer eingeben, [D]-Taste wieder ausrasten. Abgesehen davon, daß ich eine solche Einstelltechnik außer beim eng verwandten CD 400 noch an keinem anderen Rechner gesehen habe, frage ich mich, warum hier eine (teure) einrastende Taste verwendet wurde und keine normale Taste. Gibt es vielleicht eine weitere, mir bisher verborgen gebliebene Anwendungsmöglichkeit der Taste? Es gibt eine zweite Bedruckungsvariante der Tastatur (siehe externe Links), die eher dagegen spricht: Dort ist die Taste nämlich auch nur mit "DEC. SET" beschriftet.

Die Taste rechts unten schließlich schaltet die Anzeige zwischen den oberen und unteren 12 Stellen um. Das geht auch, wenn oben nichts steht; das Display erscheint dann einfach völlig leer (führende Nullen werden unterdrückt). Der aktuelle Schaltzustand wird mit zwei nach oben und unten zeigenden Pfeilen rechts der Ziffernröhren angezeigt. Hat eine Zahl mindestens 13 Stellen (egal ob Eingabewert oder Ergebnis), leuchtet links von den Ziffern ein Linkspfeil auf, wenn das Display die unteren 12 Stellen zeigt. Nach einer Rechenoperation, die mehr als 12 Stellen liefert, zeigt der Rechner zunächst die oberen 12 Stellen. Genaugenommen erscheint von einer 13stelligen Zahl nur die oberste Stelle; der "Umbruch" erfolgt nämlich immer an der gleichen Stelle, egal wie groß die Zahl ist.

Ähnliche Rechner

Neben dem bereits erwähnten Olympia CD 400 gibt es mindestens ein, wahrscheinlich sogar zwei weitere Modelle dieser Reihe. Da wäre zunächst der Panasonic 1200. Es ist ein 12stelliger Rechner, also dem CD 400 ähnlicher als dem ICR 412, aber mit anderen Platinen und ohne Speichereinheit. Die Display-Halterung, die für 14 Nixie-Röhren ausgelegt ist, legt die Vermutung nahe, daß es noch ein weiteres, 14stelliges Modell gegeben hat (siehe externe Links).

Eigenes Exemplar

  • Inv.Nr. 5040, Seriennummer 0104-20319, Baujahr 1970, Zustand: grundsätzlich funktionsfähig, aber [=]-Taste funktionslos, und z.T. seltsames Verhalten der Dezimalkommalogik. Gehäuse stark vergilbt.

Externe Links